29.07.2012

Replik

Bitte nicht mehr Penisse

Warning: Undefined array key 3 in /customers/d/f/8/peterknobloch.net/httpd.www/elements/functions.php on line 199 Seite2 von 2

Wer "Hose runter!" fordert, könnte auch sagen: "Beine breit!": Lesen Sie weiter auf Seite 2.

In der Kulturgeschichte der Menschheit finden sich vermutlich mehr Quadratmeter männlicher Brusthaut als weibliche. Wir Männer gehen überaus offen um mit unseren Brüsten. Wir haben sie noch nie verborgen. Warum auch, könnten die Damen fragen? Sie sind ja nichts besonders. Vielleicht. Aber müssen wir Männer uns nun schuldig dafür fühlen, dass unsere Brüste nicht deutlich genug hervortreten, um als sekundäres Geschlechtsmerkmal geachtet zu werden? Wir beschweren uns doch auch nicht bei der Damenwelt dafür, dass ihre Schamlippen nicht ebenso deutlich nach außen ragen wie unsere Penisse. Raethers Forderung „Hosen runter!“ ist genau schamlos, als fordere ein männlicher Autor: „Beine breit!“.

Ob Burka oder Minirock – Dass der weibliche Körper extrem sexualisiert betrachtet und dargestellt wird, ist richtig, aber auch ein alter Hut. „Noch besser, als schön zu sein, ist es natürlich, gar nicht erst schön sein zu müssen. Hässlichkeit schadet Frauen noch mehr als Männern. Es gibt legendär hässliche Männer, die es weit gebracht haben. Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Schönsein ist nie eine gesicherte Position. Viele schöne Frauen, Marilyn Monroe, Romy Schneider, Whitney Houston, Lady Di, waren unglücklich.“ Auch das stimmt, aber ist nicht neu.

Sexualethisch betrachtet sei „ein splitternackter Mann schockierender als eine splitternackte Frau.“ Wo aber beginnt splitternackt? Ein Vladimir Putin mit nacktem Oberkörper zu hohem Ross ist weniger anstößig , als eine Angela Merkel mit mutig tiefem Dekolleté. Warum bloß? Nacktheit kennt bei Männern Abstufungen, das hat die Autorin bemerkt. Sie zieht nur die falsche Schlüsse.

Ein Wettstreit darum, wer mehr Genital zeigt, endet in einer Sackgasse. Werden mehr Penisse gezeigt, sehen wir irgendwann auch mehr Vulven. Hätten wir damit für Geschlechtergerechtigkeit gesorgt und den weiblichen Körper aus seiner sexuellen Überladung begreit? Vermutlich nein.

Hier könnte Debatte enden. Doch Schwanzfixiertheit hat Folgen!

Trotzdem trifft der Beitrag auch aus männlicher Sicht einen wunden Punkt, am besten illustriert durch eine berühmte Postkarte: Darauf zu sehen sind ein nackter Mann und eine nackte Frau, karikiert gezeichnet. Bei der Frau zeigen Pfeile auf Mund, Ohren, Hals, Achseln, Brüste, Bachnabel, Po, Vulva, Hände und Knie. Die Überschift: „Die erogenen Zonen“. Beim Mann zeigen alle Pfeile, wohin wohl? Auf den Penis.

Lustig könnte man meinen. Doch solche Vorstellungen sind gesellschaftlich leider weit verbreitet, unter Frauen wie unter Männern. (Falls Sie sich hier in ihre Ehre als sexuell aufgeklärter Mensch verletzt fühlen: Sie sind nicht die Mehrheit). Bei der männlichen Sexualität, so scheint es, werden ebenso wie bei der männlichen Nacktheit keine Abstufungen gemacht. Beide werden auf den Penis reduziert – häufig mit fatalen Folgen: Der Sex ist stumpft, ein langweiligen Rein-Raus-Sport, der nicht nur Frauen nicht nachhaltig befriedigt, sondern die Männer unter Druck setzt und auf kurz oder lang impotent macht. Denn ein Samenerguss ist ein Samenerguss, nicht mehr und nicht weniger. Er sagt noch nichts über die Qualität der Befriedigung aus.

Glaubt man den gängigen Klischees – man findet sie ebenso in Qualitätszeitungen wie im Privatfernsehen oder in Unterhaltungen im Privaten – sind Männer einfacher gestrickt und darum auch leicht zu befriedigen. Wie ihr Charakter sei auch ihr Sexualität recht simpel. Die weibliche Sexualität hingegen sei ein weites Feld, die Libido einer Frau äußerst komplex. Und darum sei Sie zwar nur unter Höchstleistungen zu der Ihr möglichen maximalen Befriedigung zu bekommen – es scheint, als brauche man dafür den schwarzen Gürtel in Sex –, aber wenn Sie in den Genuss käme, dann sei Ihr Orgasmus um ein Vielfaches intensiver als der männliche. Und all das mag auch so zutreffen – müsste es aber nicht. Ich wage zu behaupten, dieses geschlechterspezifische Ungleichgewicht in der Wahrnehmung sexueller Bedürfnisse und Möglichkeiten ist schlicht sozialisiert und daher änderbar. Würden wir den männlichen Körper genauso wie den weiblichen in seiner Gänze als potentiell sexuell begreifen, wenn wir uns der Komplexität auch männlicher Sexualität öffneten – in seiner Weichheit, wie in seiner Härte –, dann wären alle besser dran. Nicht nur, dass es den Sex entkrampfen würde. Auch eingerostete Rollenbilder würden relativiert.

Dann könnte der Begriff Leistung vielleicht ein für alle Male aus den Schlafzimmern verschwinden. Ziel wäre nicht mehr, das als fast unerreichbar mystifizierte zu Erstreben: den weiblichen Orgasmus, am besten noch in multipler Ausführung als ginge es um ein Höher, Schneller, Weiter. Mit ein wenig mehr Gelassenheit, weniger Leistungsdruck und Schwanzfixiertheit käme der von ganz alleine. Würde mann erst einmal lernen, mehr als nur seinem Penis sexuelle Aufmerksamkeit zu schenken, so könnte nicht nur seine eigene Lust an Qualität gewinnen. Er könnte sich auch leichter in die weibliche Position versetzen. Wenn er sein Bedürfnis nach ganzheitlicher Simulation begreift, verwöhnt er seine Partnerin automatisch von Kopf bis Fuß. (Apropos Füße: Was zur Hölle soll dieser unter Mittzwanzigern verbreitete Fuss-Ekel? Zuletzt gesehen in einer mittelmäßigen französischen Liebeskomödie. Füße sind hoch-erogen, sonst würden sie nicht kitzeln.) Umgekehrt kann frau lernen, seinen ganzen Körper als erogen wahrzunehmen. Wenn sie weiß, dass sein Penis kein pars pro toto ist, widmet sie sich vielleicht auch einmal ganz anderen Stellen, zum Beispiel seinem Rücken – ohne, das auf eine Entspannungsmassage zu reduzieren, versteht sich.

Wie wir eingetrichterte Fehlannahmen über weibliche und männliche Sexualität überwinden? Vielleicht über Bildung und ehrliche Aufklärung, Gespräche, Einfühlungsvermögen und Gelassenheit – mit Sicherheit aber nicht durch mehr Penisse oder Vulven in der Öffentlichkeit.