01.01.2013

Frohes Neues

Stell Dir vor es ist Silvester und keiner geht hin

► Silvester ist völlig überbewertet. Eigentlich ist es für viele sogar die mieseste Party des Jahres – so für mich vor einem Jahr.

Silvester, der letzte Tag im Jahr. Alle wollen feiern, trinken und sich ins neue Jahr tanzen. Wenn aber in der ganzen Stadt alle partyfähigen Menschen gleichzeitig in die Clubs, Bars und Diskotheken rennen, dann kann das nur in einer Katastrophe enden. Es muss schlicht an den begrenzten Kapazitäten des jeweiligen Ausgehviertels scheitern. Silvester ist so, als würden alle Menschen an ein und demselben Abend ihren Geburtstag feiern wollen. Dafür ist kein Ort auf der Welt ausgelegt.

Und so haben viele schon die Schnauze voll, bevor es überhaupt losgeht. Essen, Vortrinken, Korken knallen lassen und dann in irgendeinen Club. Alles ist durchgeplant und muss perfekt werden, jeder erwartet die Party des Jahres. Der zweite kritische Punkt: Die Erwartung, ein neurotisches Zwangsverhalten des modernen Menschen.

Die Silvesternacht vor einem Jahr hat alle meine Befürchtungen auf's beste bestätigt.

Hier meine Bilanz für Silvester 2011/12:

Erfreulich war, dass sich alte Studienkollegen aus meiner Zeit in Siebenbürgen dazu entschlossen, Silvester in Berlin zu feiern. Über diese Menschen und sie wiederzusehen habe ich mich wirklich gefreut. Dann waren da noch ein gemütliches Pizzaessen und Vortrinken bei mir zuhause und zwei, drei Stunden Tanz zu Balkan-Rhythmen – der Rest war eine Katastrophe.

Sie nahm ihren Anfang, als ein paar Gäste, die ich vorher nicht kannte (Freunde von Freunden von Freunden), wie vorher zu erwarten gegen den Willen der stillen Mehrheit ihren eigenen durchdrücken mussten. Und schwubs fuhren wir auch schon in die zwei Millionen Menge am Brandenburger Tor. Vernünftige Argumente dagegen halfen nichts. Wenigstens habe ich mich darin durchsetzen können, dass wir schon am Potsdamer Platz aussteigen und uns so aus sicherem Abstand in die Traube bewegen.

Der Hinweg verlief erstaunlich glimpflich, das Feuerwerk war sogar tatsächlich ansehnlich und die Stimmung war ausgelassen, auch bei mir. Doch dann gingen die ersten zwei aus der Gruppe verloren. Nach etwa fünf Telefonaten konnte ich die beiden wieder eintüten.

Als das Spektakel vorbei war, ging es Richtung Kreuzberg. Das Ziel Kottbusser Tor, Oranienstraße. Zwei Stationen mit der S-Bahn, vier mit der U-Bahn, eigentlich kein Problem. Eigentlich. Diesmal betrug die Reisezeit knapp drei Stunden. Allein an der U-Bahn-Station Yorck-Straße haben wir eineinhalb Stunden gewartet. Einer von unseren Franzosen, der C., sehr liebenswürdig, aber völlig betrunken ist eine Station zu früh ausgestiegen. Als C. seinen Weg zur Truppe nach etlichen Lalltelefonaten in französischem Englisch gefunden hatte, war schon längst ein Empfangskomitee auf dem S-Bahnsteig für ihn eingerichtet, nämlich in Besetzung von P. (ebenfalls Franzose) und D. (Berliner). Die beiden sollten den C. sicher von der S- zur U-Bahnstation bringen. Doch C. war so autonom, dass er ohne Komitee zu uns, den Wartenden in die U-Bahn-Station, torkelte. Nun hieß es auf die Suche nach den zwei Rettern. Die, P. und D., waren inzwischen wirklich zu Rettern geworden. Betrunkene Jugendliche hatten sich oben auf dem S-Bahnsteig hin und her geschubst, bis einer auf die Gleise fiel. Toll! D. hatte den Trunkenbold von den Schienen gefischt und P. seine Jacke zum Wärmen bereitgestellt, bis die Sanitäter kamen ...

Irgendwann schafften wir es doch irgendwie bis zur ersehnten Lokalität und sogar auch hinein, trotz der blutigen Jacke des D., der sich beim Rettungsmanöver besudelt hatte. Es war auch nicht voller als sonst, die Stimmung aber auch nicht anders. Ein ganz normaler Samstag im Cake Club eben. Das war auch völlig in Ordnung so. Bis ich irgendwann schwere Beine bekam, müde und hungrig wurde, während meine Gäste noch tanzwütig waren. Kein Problem, ein guter Freund und ich pausierten in einer Currybude auf der anderen Straßenseite. Der Wirt nahm die Bestellung auf und bat uns, Platz zu nehmen. Wir warteten, sahen anderen beim Essen zu. Ich überlegte, ob ich statt Curry nicht doch vielleicht einen Burger hätte bestellen sollen. Egal. Nach fünf Minuten etwa wurde mein Freund ungeduldig. Im Zehnsekundentakt fragte er sich, wo unser Essen wohl blieb. Ich beschwichtigte ihn, bis ich nach einer viertel Stunde Karenz selbst ungeduldig wurde. Ich wollte mich erheben. Eine Frau hatte das Geschehen burger-mampfend beobachtet. „Ey, der Typ ist völlig besoffen.“ Sie meinte den Wirt. „Wenn ihr nix sagt, vergisst der euch.“ Nun gut, ich stand also auf und fragte den Wirt nach der Bestellung. Er sah mich aus roten, glasigen Augen mit solch einer meditativen Leere im Gesicht an, dass er nicht mehr zu antworten brauchte. Er hatte uns vergessen. Laut fluchend verlangte ich mein Geld zurück, warf dem besoffenen Ochsen noch eine Beschimpfung an den Kopf und knallte die Ladentür hinter mir zu.

Nachdem wir doch etwas zu Kauen auftreiben konnten und wieder vor dem Club standen, hatte sich auch die Tanzgruppe entschlossen nachhause zu gehen, perfekt. Dann dauerte es samt Döneressen und Verabschiedungszeremonie auch nur noch eine weitere Stunde, bis wir endlich in der U-Bahn saßen.

Mein Fazit mal wieder: Silvester ist die beschissenste Party des Jahres. Jetzt könnte man philosophieren wieso. Ich lasse es aber und bleibe im nächsten Jahr einfach mal zuhause.

Bilanz 2012/13:

Nach vier Monaten im Exil habe ich meine lieben Freunde in der Heimat besucht. Scheinbar haben wir alle dazu gelernt: auf den Clubbesuch haben wir kollektiv verzichtet. Die erste gute Entscheidung. Statt Pizza gab es ein drei-Gänge-Menü. Dieses Mal habe ich meine Erwartungen auf Null justiert und mich aus der Menü-Planung gleich rausgehalten. Die zweite gute Entscheidung. Zu viele Köche verderben ohnehin den Brei. Ohne zu wissen, was als nächstes auf den Teller kommt, war ich vollkommen zufrieden – und dankbar!