08.04.2012

Kolumne

Warum es Gott gibt


Zeigt sich die Unendlichkeit in Zirkelform?

► Patchwork-Religionen waren gestern. Sich die passenden Glaubensätze zu einem harmonischen Ganzen zusammenzuschustern ist längst nicht mehr en vogue, sondern Mainstream, also Pfui. Warum ich mich trotzdem keiner Religion anschließe, obwohl ich fest an Gott glaube.

Ein Geständnis vorne weg: Ich weiß es nicht. An Gott glaubt man eben, weil man es nicht sicher wissen kann. Es heißt ja auch nicht Wissen, sondern Glaube. Schade eigentlich. Diese Ungewissheit verlangt vom Gläubigen eine Menge Vertrauen.

Das Vertrauen, das ich in Gott habe, fehlt mir gegenüber Religionen. Ich habe keine Kirche. Meine Gemeinde ist hingegen riesig – und expandiert stetig. Patchwork-Religion ist das missbilligende Schlagwort, der Stempel, der gleich einem Stigma an meiner Art zu glauben haftet. Es sei eben das Bequemste, sich vom Buffet der Weltreligionen zu bedienen und Spiritualität wie ein schickes Designerprodukt zu konsumieren. Man picke sich ausschließlich die Delikatessen aller Religionen und mische diese zu einer Wohlfühlgottkeit zusammen, bekömmlich wie ein Guru-Salat mit Eso-Dressing. Außerdem sind Patchwork-Religionen längst Mainstream. Und der ist bekanntlich Pfui-Ba.

Das ist mir schnuppe. Ich glaube nicht, um irgendwem zu gefallen – nicht einmal Gott.

Warum ich keine Religion als die meinige akzeptieren kann? Darauf haben mich ausgerechnet die Zeugen Jehovas gebracht. Vielleicht hat diese bibeltreue Sekte ja einzig den Sinn, Leuten wie mir die Augen zu öffnen. Wer hat sie noch nicht an seiner Tür gehabt, bewaffnet mit Wachturm und jeder Menge Bibelzitaten. „Suchen sie nicht auch nach einem tieferen Sinn im Leben?“ So klingt einer der typischen Einstiegsfragen. Und klar, als aufgeschlossener Mensch lasse ich mich jederzeit gerne auf ein Gespräch über Gott und die Welt ein. Bis zu dem Punkt, an dem sie ihre Bibel zücken – so selbstverständlich, als handele es sich um ein Lexikon.

Irgend etwas hat mich daran jedes Mal verstört. Ich bekam ein schlechtes Gefühl, fast als wäre dieser Griff zum Wort Gottes etwas zutiefst Blasphemisches. Irgendwann kam ich darauf: Es widersprach allem, was man mir bislang über Gott erzählt hatte.

Gott. Dieses allmächtige und zugleich unsichtbare und deshalb unergründliche Etwas wird auf ein Buch festgenagelt, fast als wäre der liebe Gott publizistischer Herausgeber der Bibel. Wenn Gottes Wille tatsächlich unergründlich ist, wie man sagt, wie sollte er dann mit Sprache ausgedrückt werden können, geschweige denn alles Wissenswerte über dieses unergründliche Etwas in ein Buch passen. Das klingt für mich wie: „Hallo, ich bin James Bond. Von Beruf bin ich Geheim-Agent, aber bitte behalten sie es für sich.“ Denn wenn es unergründlich ist, dann kann man es auch nicht aufschreiben.

Und vor allem: Warum sollte ausgerechnet dieses eine Buch die Wahrheit sagen. Könnte es nicht auch genauso gut ein anderes sein. Wenn Gott unendlich ist, dann muss es auch unendlich viele Varianten geben, dieses Transzendentale zu erfahren. Viel wahrscheinlicher ist: keine der bisher überlieferten Schriften hat den Nagel auf den Kopf getroffen.

Betrachtet man es also einmal etwas genauer, dann zeugt es schon von einer unsäglichen Vermessenheit, wenn eine Religion für sich beansprucht, im Besitz der einzig gültigen Wahrheit über Gott zu sein. Mehr noch: das ist respektlos gegenüber der allmächtigen Unendlichkeit. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen: Fundamentalismus ist Blasphemie.

„Du sollst dir kein Bildnis machen!“ So lautet das zweite Gebot. Was anderes ist eine Religion, als eine Abbildung. Was die Angehörigen einer Religion als ihre heilige Schrift bezeichnen, ist nichts anderes als der Versuch, Gott in Worten abzubilden. Kurz: ein Bildnis.

Wenn Gott in einem Buch stecken würde: Ich würde es vermutlich in einer Nacht verschlingen und mich anschließend in einen Sarg zum Sterben legen. Den Sinn des Lebens wüsste ich dann ja, also gäbe es nichts mehr zu klären, keinen Grund weiterzuleben.

Für mich – ja, hier bewege ich mich eindeutig im Bereich, den man als Glaube bezeichnet – also für mich ist Gott nicht mit dem Verstand greifbar. Dafür sind unsere Sinne, ist unser Hirn einfach zu beschränkt. Wie will man denn als endliches Wesen mit endlichen Sinnen das Unendliche wahrnehmen. Ich meine jedoch, seine/ihre Anwesenheit in kurzen Augenblicken der Klarheit erfühlen zu können. Es ist mehr eine Ahnung, eine innere, unbegründete Gewissheit als Wissen. Diese Gewissheit ist keine rationale. Sie ist emotional. „Ich bin der ich bin“. Auf den asiatischen Raum übertragen heißt diese Tautologie, dieser Zirkelschluss: „Alles ist eins“. Für uns endliche Wesen birgt sie die Hoffnung, dass jedem Ende auch einen Anfang innewohnt. Vielleicht ist das Unendliche für den Menschen auch einfach nicht anders vorstellbar, außer in Form eines Zirkels. Eines Kreises.