01.07.2012

Fiskalpakt und ESM

Wenn der Zweck die Mittel heiligen soll


Öffentliche Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zu ESM und Fiskalvertrag
(foto: Mehr Demokratie e.V. )

► Verlieren wir nach der Euro auch noch den Euro? Schlimmer noch: Fiskalpakt und ESM bedrohen die Demokratie in Europa. Jetzt hilft nur noch der Ruf nach Karlsruhe. Und: Warum die EU ausnahmsweise mal zum Kapitalismus stehen sollte.

Was ist spannender: der Kampf um den Euro oder die Euro? Die Parallelen wirken zynisch. Wenn es Gott gibt, dann ist sein Humor pechschwarz. Bestes Beispiel war der Donnerstagabend: In Warschau fegt Italien die deutsche Elf vom Platz, in Brüssel bezwingt nur Stunden später Italiens Premier Mario Monti Angela Merkel.

Die Euro ist für Deutschland verloren, jetzt aber geht es um den Euro. IWF-Chefin Christine Lagarde gab Europa vor kurzem großzügig noch drei Monate Zeit, nachdem die ehemalige französische Finanzministerin im Mai ihr menschliches Mitleid in die Waagschale warf: Mehr als an griechische Frauen, die keine Hebamme bekommen, denke sie an Kindern in Niger. Ohne Worte.

Jedenfalls bleibt es spannend – im Rennen um den Euro, Europa, das Grundgesetz und den Stand der Demokratie. Am Freitag segneten Bundestag und Bundesrat ein Gesetzespaket ab, das es so nicht geben wird: Es ist ein Hybrid aus „Solidarität und Solidität“, wie es im Merkelsprech heißt, der Fiskalpakt, samt unwiderruflicher europäischer Schuldenbremse, und der ESM, der sogenannten dauerhafte Rettungsschirm. Im Bundesrat war nur das von SPD und Linken regierte Brandenburg dagegen, der Bundestag gab dem Vorhaben die notwendige Zweidrittel-Mehrheit. Ohne die Stimmen von SPD und Grünen wäre sie jedoch nicht zusammen gekommen, 26 Abgeordnete aus der Regierung verweigerten ihrer Kanzlerin die Zustimmung. Einer von ihnen ist Peter Gauweiler. Die Begründung des CSU-Abgeordneten: Mit dem ESM entstehe das größte Haftungsprojekt ohne Legitimation. Dem ist nicht zu widersprechen. Und genau hier liegt der Knackpunkt.

Man kann die Krise als Chance begreifen, endlich die Fehlern der EU-Gründungsverträge von Maastricht zu beseitigen; der Wirtschafts- und Währungsunion auch die politische Union folgen zu lassen – gerne. Doch zu welchem Preis? Auf die gemeinsame Währung auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik zu begründen, mit den Vereinigten Staaten von Europa alte nationale Grenzen zu überwinden – das ist möglich und auch erstrebenswert. Doch der Zweck darf nicht die Mittel heiligen.

ESM und Fiskalpakt übertreten eine rote Line staatlicher Souveränität, sie zwingen den Ländern ihre Haushaltspolitik auf und greifen so tief in die wichtigste Domäne staatlicher Führung. Ob man diese rote Linie übertreten will und Brüssel diese Macht unwiederbringlich überträgt, das will gut überlegt sein. Denn für Europa geht es um nicht weniger als die Demokratie und für die Deutschen um ihr geliebtes Grundgesetzt.

Diese rote Linie hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bereits im Sommer 2009 gezogen. Es ging um den Vertrag von Lissabon. Den beurteilten die Karlsruher Richter noch als verfassungskonform, allerdings liege hier die Grenze. Wollte die Bundesrepublik die europäische Integration weiter vertiefen und in einem europäischen Bundestaat aufgehen, dann bedürfe es einer neuen deutschen Verfassung. Die gebe es nur um den Preis einer Volksabstimmung, wie es sie schon bei der Wiedervereinigung hätte geben müssen.

Für alle, die sich also gefragt haben, was ausgerechnet Finanzminister Wolfang Schäuble dazu trieb, im SPIEGEL über eine deutsche Volksabstimmung zu philosophieren, dürfte hiermit klar sein: Ihm bleibt kaum eine Wahl. Das muss Schäuble klargeworden sein, als das Bundesverfassungsgericht dem Bundespräsidenten Joachim Gauck signalisierte, das Gesetzespakt aus Fiskalpakt und ESM nicht zu unterschreiben, bevor nicht geklärt ist, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Denn nachdem Bundestag und Bundesrat den ohnehin schon überholten Maßnahmen zustimmten, hagelte es Klagen von Links, Rechts und aus der Mitte.

Mehr Europa ist grundsätzlich gut, auch eine europäische Wirtschaftspolitik wäre vielleicht sogar zu begrüßen – zunächst einmal unabhängig davon, ob sie auf die richtigen Maßnahmen setzt. Doch wenn Europa so zusammenwächst, wie es jetzt geplant ist, dann ohne, dass das Parlament und damit die demokratische Legitimität wächst.

Das wurde schon vor dem Gipfel überdeutlich. Die Einladung nach Brüssel war ein Grundsatzpapier für eine „echte Wirtschafts- und Währungsunion“. Sie sollte die Zielrichtung für das neue Europa vorgeben. Die Verfasser waren Barroso, Juncker, Draghi und Van Rompuy, also alle wichtigen Köpfe in Europa, so könnte man meinen. Schließlich vertreten sie Kommission, Eurogruppe, Europäische Zentralbank und EU-Rat. Wo aber war das Parlament? Martin Schulz kam nicht zu Wort. Obwohl er als Parlamentspräsident das einzige EU-Organ leitet, das durch Wahlen auch wirklich demokratisch legitimiert ist. Das ist typisch für das heutige Europa in der Krise.

Wenn der Bundestag also seine Souveränität in Sachen Haushalspolitik aus den Händen gibt, gleichzeitig aber das Parlament in Straßburg machtlos bleibt, dann haben wir die Vereinigten Staaten von Europa ohne Demokratie. Deshalb ist es gut, dass Karlsruhe überhastete Maßnahmen bremst, nicht zum Zweck nationaler Isolation, sondern zum Schutz der Demokratie.

Mal davon abgesehen, dass die Staatenlenker in der Nacht von Donnerstag auf Freitag schon etwas völlig anderes beschlossen haben, als das worüber die Abgeordneten am Freitag im Bundestag stimmten. Italiens ungewählter Ministerpräsiden Monti hat Merkel wie gesagt weichgekocht. Dabei zeigte sich der Ex-Goldmann-Sachs-Berater als Meister der Erpressung. Er bekam seine Zugeständnisse – ESM-Hilfen auch ohne harte Sparauflagen sowie Direktspitze in die Venen maroder spanischer und italienischer Banken – augerechnet im Tausch gegen seine Zustimmung zum Wachstumspakt: jenem Infrastrukturprojekt, das Sparmerkel eigentlich gar nicht wollte. Frankreichs Präsident Hollande hatte es der Kanzerlin im Tausch gegen den (Spar)-Fiskalpakt abgerungen. Jetzt soll der ESM also doch die Spendierhosen anziehen und Geld nicht ohne Auflagen an kriselnde Staaten verteilen, sondern sogar direkt an taumelnde Banken zahlen dürfen. Staatschuldenkrise – war nicht das der eigentliche Begriff für Europas Probleme im aktuellen Merkelsprech? Dass der europäische Steuerzahler nun doch wieder die Banken retten soll, zeigt, wer hier eigentlich eine Krise hat.

Jedenfalls soll der ESM als Gegenleistung für seine Haftung auch Anteil an den maroden Banken bekommen. Wie toll. Die schwächsten Banken gehören damit dem europäischen Steuerzahler – natürlich inklusive Schulden. Aber dafür bekommt Merkel eine europäische Bankenaufsicht, die diesen Geldhäusern auf die Finger schauen soll.

Wie gut es läuft, wenn Politiker Banken führt, sehen wir in Deutschland an der Commerzbank. Wenn also der ESM, der aus Steuergeldern finanziert wird, die schlechtesten aller europäischer Banken subventioniert und sie steuert, dann trifft Planwirtschaft auf Finanzlobbyismus: Verluste werden erst sozialisiert und dann sollen politische Institutionen die Zocker gesund pflegen. Das kann nicht gut gehen.

Hier sollte die EU ihr Bekenntnis zum Kapitalismus einmal ernst nehmen: Banken, die zu hoch gepokert haben, pleite gehen lassen, anstatt zu versuchen, ihnen Manieren beizubringen. Schließlich hat die Politik in Deutschland auch kein Problem damit, >25.000 Beschäftigte von Schlecker ihrem Schicksal zu überlassen. Schlecker hat schlehcht gewirtschaftet. Da können zwar die Schleckerfrauen nichts für. Doch wer nicht wettbewerbsfähig ist, den fegt eben Adam Smith's unsiachbare Hand vom Markt. Wenn es allerdings um die Sorge von Geldhäusern geht, findet man allerlei Gründe der unsichtbaren Hand der Märkte zu misstrauen. Das ist bigott.

Die Anleger wissen schon genau, warum sie manchen Banken ihr Vertrauen entzogen haben. Wo bleibt das Vertrauen in den Kapitalismus? Vielleicht sind die Märkte einmal wirklich schlauer als die Politik: Lasst die Zocker absaufen!