18.01.2012

Film

Der Polizist als Adjektiv

► In dem rumänischen Film „Police, Adjective“ von Corneliu Porumboiu geht es um Begriffe wie Moral und Gesetz – und um die Willkür ihrer Auslegung

Cristi, gespielt von Dragos Bucur, steht hinter einem Betonpfeiler und raucht eine Zigarette nach der anderen. Er beschattet Alex (Alexandru Sabadac), einen Jugendlichen, der zusammen mit seinen Freunden Victor (Radu Costin) und Diona (Anca Diaconu) in den Pausen heimlich kifft. Lange Zeit passiert nichts. Der junge Polizist beobachtet das Haus von Alex' Eltern, einen rumänischer Wohlstandbau umzäunt von einer hohen Mauer. Die Mutter öffnet das Fenster, schüttelt den Staub aus einer Tagesdecke mit Tigermuster. Wenig später taucht Alex' Schulfreundin Diona auf. Als sie das Haus nach nur wenigen Minuten wieder verlässt, nimmt Polizist Cristi die Verfolgung auf.

„Police, Adjective“ ist der vierte Film des rumänischen Drehbuchautors und Regisseurs Corneliu Porumboiu, der zu den interessantesten Protagonisten des neuen rumänischen Kinos gehört. Mit „12:08 Jenseits von Bukarest“ gewann er 2006 in Cannes die Camera d'Or für das beste Debüt. „Police, Adjective“ wurde drei Jahre später, ebenfalls in Cannes, mit dem Jury-Preis in der Sektion „Un Certain Regard“ ausgezeichnet. Erst jetzt läuft der Film auch in deutschen Kinos.

Gewissensbisse

Und es passiert scheinbar nicht viel, „Police, Adjective“ handelt im Kern darüber, ob die kiffenden Jugendliche bei einer Razzia hochgenommen werden sollen oder nicht. Denn Cristi, ihren Beobachter, plagen Gewissensbisse, er glaubt, dass das rumänische Betäubungsmittelgesetz ohnehin bald liberalisiert werde. Er sieht nicht ein, wieso er das Leben von Jugendlichen für einen Regelverstoß zerstören soll, der künftig keiner mehr sein wird.

In „Police, Adjective“ arbeitet Porumboiu mit langen Einstellungen, einem Stilmittel, das das rumänische Kino in den vergangen Jahren neu für sich entdeckt hat. Die Längen sind kein cineastisches Geplänkel, sondern werden gekonnt genutzt. Etwa in den Szenen, in denen Polizist Cristi die Jugendlichen beschattet. Sie geben dem Zuschauer Zeit, die Umgebung zu betrachten und holen ihn in die Situation des Protagonisten, indem sie ebenfalls warten und observieren.

Porumboiu erzählt mit dieser Geschichte den gesellschaftlichen Umbruch im postsozialistischen Rumänien. „Wir sehen den Polizisten“, so der Filmemacher in einem Interview, „in einer Welt des Übergangs, in welcher alle Figuren sich auf dem Weg von einer alten zu einer neuen Gesellschaft befinden. Es ist das Porträt des heutigen Rumäniens, eines Landes, das vor kurzem Mitglied der EU wurde, sich aber noch im Wandel befindet.“

Wörterbuch

In dieser Welt geht es um Orientierung: Was gestern noch als Regelverstoß galt, steht heute zur Debatte, ist morgen vielleicht schon akzeptabel. In dieser Phase der Ungewissheit ist vieles noch Auslegungssache. Und deshalb ist „Police, Adjective“ ein Film über Begriffe. Während Cristi mit seiner Ehefrau intensiv über die Symbolik eines schnulzigen Liebeslieds philosophiert, erkennt sein Vorgesetzter keinen Auslegungsspielraum. Vlad Ivanov spielt diesen autoritären Kommissar Anghelache; er hatte schon mitgewirkt in Cristian Mungius ebenfalls in Cannes prämierten Film über die Spätzeit der Ceausescu-Ära.

In der entscheidenden Szene des Films sitzt Cristi bei seinem Chef Anghelache, um die Razzia abzuwenden oder zumindest hinauszuzögern. Cristi argumentiert mit seinem Gewissen, seine Definition lässt Anghelache an eine Tafel schreiben: „Mein Gewissen ist etwas, das mich davon abhält, Dinge zu tun, die ich später einmal bereuen könnte.“ Dann ordert er ein Wörterbuch, um seinen Untergeben zu disziplinieren. Letzlich stoßen hier auch zwei Generationen aufeinander – das alte Rumänien, ein Land mit festen Grenzen, und das neue Rumänien, ein EU-Mitgliedsstaat im Wandel.

Erscheinungsort: Der Freitag