23.09.2012

Rechtsstaat

Gewaltenteilung Balkanstyle

► Bukarests korrupte Elite biegt das Recht, wo sie es nur kann. Dabei droht sie dem Rechtsstaat, das Rückgrat zu brechen. Absurd aber wahr: In Rumänien urteilt das Verfassungsgericht über sich selbst.

Wie zwei Raufbolde, die sich unter Zwang vertragen mussten, standen sie da, die beiden ersten Männer der rumänischen Politik, als Staatspräsident Traian Basescu und Ministerpräsident Victor Ponta bei Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Brüssel vorsprachen – beide einzeln.

Seit etwa zwei Monaten liefern sich die beiden einen erbitterten Kampf bei dem schon etliche Köpfe gerollt sind. Fast auch der von Staatspräsident Basescu, der zum zweiten Mal in seiner Laufbahn vorübergehend vom Amt des Staatspräsidenten suspendiert wurde. Ende Juli leitete das Regierungsbündnis USL unter Premierminister Ponta ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Basescus ein. Bei dem anschließenden Referendum über seine Absetzung stimmten gut 87 Prozent gegen Basescu. Nur ist das Plebiszit wegen zu geringer Wahlbeteiligung gescheitert, sie lag bei rund 46 Prozent.

Basescu hatte im Vorfeld darum geworben, dem Urnengang fernzubleiben. Der Grund: Seine Beliebtheit lag auf dem Tiefpunkt seiner politischen Karriere. Er sah im Boykottaufruf das einzige Mittel, sein politisches Ende zu verhindern. Vor wie nach dem Referendum versuchte Pontas USL mit allen Mitteln, die Wahlbeteiligung auf über 50 Prozent zu drehen – vor der Wahl mit Einschüchterungen und Betrug, nach der Wahl mit improvisierten Volkszählungen.

Die Liste der politischen Skandale, Kniffe und Windungen während der rumänischen Krise 2012 ist schier endlos. Während westliche Medien zu Recht das antidemokratische Vorgehen der USL rügen, erwecken sie zum Teil den Eindruck, Basescu und seine oppositionelle PDL seien die Retter des rumänischen Rechtsstaates. Dem ist mitnichten so. Die Lage ist äußerst komplexer. So scheute sich Emil Boc (PDL) in seiner Zeit als Premier genauso wenig davor, mit Eilverordnungen zu regieren, wie es aktuell Victor Ponta vorgeworfen wird. Auch sind die Vorwürfe seines Regierungsbündnisses gegen Basescu nicht von der Hand zu weisen. Basescu hat als Präsident in vielen Fällen die ihm von der rumänischen Verfassung gegebenen Kompetenzen überschritten.

Es gibt keine Guten in dieser Geschichte. Beide Lager bedienen in erster Linie Klientelinteressen. Sie in politische Richtungen wie etwa links und rechts, oder bürgerlich und konservativ einzuteilen, entbehrt den Tatsachen.

Das „bürgerliche“ Lager gibt sich proeuropäisch-westlich. In der Praxis heißt das: Wenn Internationaler Währungsfonds, EU-Kommission und Weltbank einen Kredit vergeben und im Gegenzug neben einer satten Mehrwertsteuererhöhung von fünf Prozent (jetzt bei 24 Prozent) auch die Kürzung von Beamtengehältern um ein Viertel verlangen, dann gibt Basescu keine Widerworte, sondern setzt gnadenlos den Rotstift an, auch wenn davon beispielweise in erster Line die ohnehin schon unterbezahlen Lehrer im Land betroffen sind.

„Sozialdemokraten“ und „Nationalliberale“ wiederum bedienen die Unzufriedenheit der Bevölkerung, die unter den diesen Sparmaßnahmen der „bürgerlichen“ Regierung in den vergangenen Jahren gelitten hat. Vor allem spielt sie mit Ceausescu-Nostalgie und beschwört die Mär von der nationalen Souveränität Rumäniens, die besonders in den Jahren der Krise zur Illusion verblasst ist. Die europafeindlichen bis nationalistischen Töne konnte man zuletzt aus Ungarn vernehmen. Und auch in seiner Art den Staat zu seinen Gunsten umzukrempeln, ist Victor Ponta dem ungarischen Premierminister Viktor Orbán ähnlicher, als ihm vermutlich lieb ist.

In Brüssel gelobten sowohl Präsident Basescu als auch Premier Ponta Besserung, jeder auf seine Art, keiner ohne sich einen indirekten Seitenhieb gegen den anderen verkneifen zu können.

In Puncto Kommunikation bediente sich Basescu in Brüssel wie in Bukarest einem deutschen Rezept. Er verteilte fleißig Beruhigungspillen: Die politische Krise sei überstanden, die Institutionen hätten standgehalten – und besonders: der Rechtsstaat habe sein Funktionieren unter Beweis gestellt. Damit versuchte Staatspräsident Basescu nicht nur die eigenen Bürger, sondern besonders Vertreter der EU und des Europarats einzuschläfern – erfolglos.

Denn am Mittwoch kam eine kalte Dusche: Neun Verfassungsrichter fällen ein Urteil über die Macht ihres eigenen Gerichts. Es ging um eine Eilverordnung, mit der das Parlament unter Führung von Pontas USL das unbequeme Verfassungsgericht stillkriegen wollte. Das Parlament entzog dem Gericht die Kompetenz, bei Klage gegen Personalentscheidungen in Abgeordnetenhaus oder Senat zu urteilen.

Wie in Deutschland wird auch in Rumänien das Verfassungsgericht nicht von slebst tätig. Es muss jemanden geben, der klagt. Und das tut die Opposition bei jeder Gelegenheit. So war es auch die PDL, die gegen die Eilverordnung geklagt hatte. Dass sich das Verfassungsgericht die eigene Kompetenz zurückholt, war abzusehen. Welcher Richter ist nicht befangen, wenn es um die eigene Macht geht?

Wie auch immer so ein irrer Zirkelschluss möglich ist, er zeigt, wie leicht sich das rumänische Rechtssystem selbst ad absurdum führt.

Aber wer außer dem Verfassungsgericht hätte in dem Fall urteilen können? Es gibt schließlich keine höhere Instanz der Judikativen im Land. Ein Wunder, dass es der rumänischen Legislative nach rumänischer Verfassung überhaupt möglich ist, die Judikative per Eilverfahren einen Maulkorb zu verpassen. Eine klare Gewaltenteilung sieht anders aus.

Die offensichtliche Verletzung der Gewaltenteilung verschweigend argumentieren die Abgeordneten der USL, das Parlament habe das Recht, die Macht der Richter zu beschneiden, weil sie die demokratische Mehrheit vertrete. Diese Mehrheit bekam die USL aber nicht etwa dadurch, dass sie Wahlen gewonnen hätte. Ponta gelangte erst in sein Amt, als Abgeordnete vom „bürgerlichen“ zum „sozialliberalen“ Lager übergelaufen waren. Die demokratische Legitimität der derzeitigen Parlamentsmehrheit ist also mehr als fragwürdig. Aber auch die Unabhängigkeit der Richter ist zweifelhaft. In der Mehrheit ist das Gericht mit Basescus Leuten besetzt.

Einerseits krankt das Land also an einer Verfassung, die Baujahr 1990 so durchgerostet zu sein scheint, als handele es sich um einen Dacia, zwanzig Jahre gelaufen – eher schlecht als recht – ist ihr jetzt der Boden durchgerostet. Auf der anderen Seite ist es die politischer Klasse (ebenfalls Baujahr 1990), die dem Land zu schaffen macht: Machtgierig, korrupt bis kleptokratisch tut sie alles, um das Gesetz zu ihren Gunsten zu biegen. Und daran zerbricht das Rückgrat einer politischen Ordnung zwangsläufig. Dieses Rückgrat war die Gewaltenteilung.